Donnerstag, 11. August 2016

Das neue Konzept Familienarbeitszeit

Im Juli 2016 wurde durch die Ministerin Schwesig ein neues Konzept zur Familienarbeitszeit vorgelegt. Ziel ist der finanzielle Anreiz für berufstätige Eltern, weiterhin in vollzeitnaher Teilzeit zu arbeiten und gleichzeitig die Familienpflichten zu teilen. Ein Anreiz, der sicher weiter gehen könnte, aber ein guter Ansatz ist.

Voraussetzung für das Familiengeld in Höhe von 300 € ist, dass beide Eltern 80 bis 90 % arbeiten und jüngere Kinder (bis acht Jahre) haben. Zugrunde liegt die Erwägung, dass die Familienpflichten zwischen den Partnern gleichmäßiger aufgeteilt werden sollen - um letztendlich auch die Frauenerwerbsquote wenn vielleicht nicht unbedingt zu erhöhen, so doch zu stabilisieren - und zwar oberhalb eines Geringverdienereinkommens.

Vor dem Hintergrund der jüngsten Bestrebungen, vor allem zahlungsäumige Väter mit Entzug des Führerscheins zu sanktionieren (eine gute Zusammenfassung dazu hat Christian Schmidt geschrieben) ist es beruhigend, dass man im Zusammenhang mit dem Familiengeld auf positive Bestärkung legt: Bei getrennt lebenden Partnern wird dann das Familiengeld geteilt.

Kinder sind teuer, ein finanzieler Anreiz ist daher nie verkehrt. Die Entwicklung hin zur Aufteilung der Familienpflichten und der beruflichen Pflichten ist absolut der richtige Schritt. Eine Begrenzung für kleinere Kinder ausgerechnet bis acht Jahren erscheint willkürlich und der Grund erschließt sich nicht. Weder ist die Grundschule abgeschlossen noch könnte man in dem Alter von einer erstarkten Selbständigkeit sprechen. Auch danach - und ich möchte explizit das Teenageralter einschileßen - ist die zeitliche Aufmerksamkeit der Eltern notwendig, während das Familieneinkommen für Handyverträge, Fashionexperimente und Gamescom-Karten absolut nicht weniger werden darf. Also bleibt die selbst zusammengereimte Erklärung, dass es irgendwie auch gegenfinanziert werden muss und das große Paket noch nicht drin (oder noch nicht gewollt) ist. Nichts, was man bei Erfolg nicht ändern könnte.

Die 300 € sind gerade für Familien mit geringem Einkommen sehr hilfreich. Man kann natürlich bemängeln, dass Besserverdiendende etwas bekommen, was sie nicht brauchen. Die durch die Bürokratie generierten Kosten, um das zu differenzieren, stehen m.E. aber nicht im Verhältnis zu eine rmöglichen Ersparnis. Die Beispielsberechnungen zeigen neben der Tatsache, dass das Familiengeld finanzielle Nachteile abmildert aber doch noch einmal ganz konkret, wie viel schlechter man als Familie gegenüber kinderlosen Paaren dasteht. Meines Erachtens ein Umstand, der vor dem Hintergrund des großen Achselzuckens bezüglich der Finanzierung von Renten und Pflege ab Generation Babyboomer auch gern endlich einmal in Angriff genommen werden könnte.

Entscheidend für das Gelingen des Modells ist allerdings, wie sehr auch Arbeitgeber bereit sind, vollzeitnahe Teilzeit ihrer Mitarbeterinnen und Mitarbeiter zuzulassen.  Dabei geht es gerade nicht darum, bei gleicher Arbeit weniger zu bezahlen und Überstundenkonten zu befüllen, sondern ein gewisses Maß an Flexibilität zuzulassen. Es muss möglich sein, den Anforderungen der Familie in der frei gewordenen Zeit nachkommen zu können - vielleicht sogar mal mitten am Tag. Dies ist ein schwieriges Thema. Viele Betriebe stellen sich der Herausforderung. Gerade auch die Digitalisierung bietet z.B. mit der Flexibilisierung des Arbeitsortes gutes Möglichkeiten, das Ziel der Vereinbarkeit voran zu bringen. Ohne eine Anpassung der Vorgaben und Pflichten der Arbeitsgesetzte, die in diesem Zusammenhang auch mal mehr Korsett als Schutz sein können, wird es keine gravierenden Veränderungen geben können. Hier ist Unterstützung und ein Voranbringen der Diskussion gefragt.

Ein Anfang ist auch mit diesem Konzept gemacht. Bleibt abzuwarten, wie es wirkt und ob der Arbeitsmarkt es trägt.


Mittwoch, 10. August 2016

Bereuende Eltern: Befreiung oder Egoismus?

Kinder sind nicht unbedingt gewollt. Der Lärm stört Leute, also sucht man sich "ruhige" Wohngegenden, Häuser, in denen nicht Familien direkte Nachbarn sind (oder noch schlimmer: über einem wohnen). Man macht Urlaub in Hotels, in denen Kinder nicht erlaubt sind. All dies ist in den letzten Jahren schleichend salonfähig geworden, kaum einer regt sich darüber noch auf.

Jetzt hat die öffentliche Diskussion eine neue Stufe erklommen: Den Anfang machte die "Regretting Motherhood"-Bewegung - nun las ich über eine Studie in Deutschland,  deren Inhalt die Frage ist, ob Eltern ihre Elternschaft bereuen. Ergebnis: 20 % der Befragten gaben an, die Elternschaft zu bereuen - etwa die Hälfte davon waren ungewollt Eltern geworden. ABER 95 % aller Befragten würden ihre Kinder lieben. 

Meine erste Reaktion war Ungläubigkeit, inzwischen empfinde ich tiefes Unverständnis - und das ist noch eines der positiveren Gefühle.

Nachdem so viel über Reue geredet wird - was genau bedeutet das eigentlich? Wikipedia sagt folgendes dazu:

"Reue ist das Gefühl – in besonderen Fällen ein Affekt – der Unzufriedenheit, der Abscheu, des Schmerzes und Bedauerns über das eigene fehlerhafte Tun und Lassen, verbunden mit dem Bewusstsein (oder der Empfindung) von dessen Unwert und Unrecht sowie mit dem Willensvorsatz zur eventuellen Genugtuung und Besserung."

Das ist es also, was die 20 % empfinden, wenn sie an die Geburt und das "Da-Sein" ihrer Kinder denken. Im besten Fall Bedauern darüber, im Schlimmsten Abscheu und Schmerz. Bezogen auf ein "fehlerhaftes Tun und Lassen" - also das Kind bekommen zu haben oder es nicht gleich von vornherein verhindert bzw. nicht abgetrieben zu haben. 

Gleichzeitig wird als positives Fazit der Studie hervorgehoben, dass 95 % der Befragten aber ihre Kinder lieben. Mal die Tatsache, dass ich 5 % Nicht-liebender-Eltern immer noch sehr viel finde und mir die Kinder wahnsinnig leid tun - was soll das heißen??? 

Da ich verwirrt bin, nehme ich auch hier mal Wikipedia zur Hilfe:

"Liebe ist im Allgemeinen die Bezeichnung für die stärkste Zuneigung und Wertschätzung, die ein Mensch einem anderen entgegenzubringen in der Lage ist. Das Gefühl der Liebe kann unabhängig davon entstehen, ob es erwidert wird oder nicht."

"Liebes Kind, ich habe dich gewollt, mich auf dich gefreut - letztendlich war das nicht die Klügste aller Entscheidungen. No offense - zwar bedaure ich, dich bekommen zu haben und würde in derselben Situation verhüten bzw. dich abtreiben, hätte ich damals gewusst, was ich heute weiß und obwohl ich jetzt schon dein Leben lang mit dir verbracht habe. ABER ich bringe dir die stärkste Zuneigung und Wertschätzung entgegen, zu der ich in der Lage bin." So könnte ein Geständnis an ein Kind solcher bereuenden Eltern aussehen.

Leider bin ich nicht in der Lage, dieses Konstrukt zu verstehen. Wie kann man jemanden lieben und gleichzeitig wünschen, diese Person gäbe es nicht? Ich halte das für unmöglich. 

Dabei möchte ich klarstellen, dass es mir nich um die Verteidigung der per se vorhandenen, übergroßen und unbegrenzten Elternliebe geht - mir ist vollkommen klar, dass es diese nicht gibt, so wünschenswert diese auch sei. Ich weiß, dass es Menschen gibt, die aus ihrer Situation heraus aus bestimmten Gründen mit ihrer Elternschaft hadern, sich überfordert fühlen und gar allein gelassen fühlen. Und jedem dieser Menschen sollte geholfen werden. 

Was mich in Aufruhr bringt ist die Art und Weise der Diskussion sowie der Raum, der dieser eingeräumt wird. Kinder kommen nicht aufgrund ihrer eigenen Entscheidung auf die Welt, das sind wir Eltern, die das entscheiden und umsetzen müssen. Unsere Aufgabe ist es, diese Kinder so gut wie möglich großzuziehen, ihnen das Beste mitzugeben, was wir können. Sie verdienen unsere bedingungslose Liebe und Unterstützung. Die größtmögliche Zuneigung und Wertschätzung, zu der wir in der Lage sind - denn sie können sich nicht einfach andere Eltern aussuchen. Sie haben ein Recht auf Begleitung und Anleitung für eigenständiges Leben - denn meistens nach nur 20 Jahren verlassen Sie uns schon wieder.  - bei der heutigen Lebenserwartung gerade mal 1/4 unseres Lebens. Und ob sie uns lieben und respektieren als Eltern hängt entscheidend davon ab, was wir Ihnen beigebracht haben und was wir ihnen vorgelebt haben. 

Stell dir vor, deine Eltern sagen dir einen Satz, wie ich ihn oben einmal exemplarisch aufgeschrieben habe. Wie fühlst du dich dabei? Hilft dir diese Ehrlichkeit irgendwie weiter in deinem Leben? Macht es dich stark? Bist du klüger? Verbessert sich dein Verhältnis zu deinen Eltern, nachdem sie dir das gesagt haben?

Ich glaube nicht. Ich glaube, wer immer diese Diskussion nach außen trägt und seine Kinder damit konfrontiert - denn nichts anderes tut man damit, wenn man sich dazu bekennt - liebt eben nicht seine Kinder am meisten, sondern sich selbst. Sich über seine Gefühle klar zu werden und mit negativen Einflüssen oder Entscheidungen umzugehen, nennt man schlicht Leben. Und jeder soll sich die Hilfe dabei hole, die er braucht. Würde mir ein Freund oder eine Freundin von solchen Gefühlen berichten, würde ich ihnen dringend raten, ich damit auseinanderzusetzen und sich professionelle Hilfe dafür zu holen - um ihrer selbst und der Kinder Willen. Aber ein bloßes öffentlich machen hilft niemandem.
Was soll also diese öffentliche Debatte darum, ob jemand seine Elternschaft bereut? Sie soll Verständnis generieren und damit dafür sorgen, dass sich diejenigen, die so empfinden, nicht so allein, so anders fühlen. Sie machen die Diskussion also öffentlich, damit sie sich besser fühlen.  Dabei gibt es nur einen kleinen Kreis, der diese Gefühle verzeihnen und verstehen kann und muss: die betroffenen Kinder.  Ansonsten führt die öffentliche Diskussion nur dazu, dass ich eine Menge Kinder schlecht fühlen, vielleicht ein paar Eltern besser. 

Kann es das sein? Ich glaube nicht, dass Elterschaft unbedingt beinhaltet, mit dieser Rolle im Reinen zu sein - und sei es auf Kosten der Kinder selbst. Daher verärgert mich diese öffentliche Diskussion maßlos. Und schlimmer finde ich, dass ihr Raum gewährt wird. Und nicht wenige werden aufspringen und Gefühle an sich entdecken, die einer Reue gleich kommen. Und weil man das jetzt so macht, ist man uneingeschränkt ehrlich - auch zu seinen Kindern. Dann geht es einem ja besser und nur ausgeglichene Eltern können gute Eltern sein. Aha.

Es ist politisch total unkorrekt, aber trotzdem rufe ich allen zu, die ihre Elternschaft öffentlich bereuen, zu: Reißt euch gefälligst mal zusammen! Ihr habt jetzt Verantwortung übernommen. Wenn Sie Euch zu viel wird, holt euch Hilfe. Ansonsten nehmt die Situation und die Rolle als Mutter/Vater an und haltet euch an die positiven Seiten. Ihr habt ein Geschenk bekommen. Euer Jammern ist ein Schlag ins Gesicht der Kinder und all jener, die gern Kinder hätten aber es nicht können und derjenigen, die hinter euch aufräumen müssen, weil eure Kinder euer Bedauern nicht verwinden und Schaden nehmen!

Hat man endlich in der Gesellschaft akzeptiert, dass auch noch so ein kleiner "Klaps auf den Hintern" Gewalt gegen die Kinder und damit falsch ist, dass es Schaden an der Kinderseele anrichtet - so scheint nun eine Akzeptanz bezüglich psychischer Grausamkeit zu entstehen, unterstützt man diese Art der Diskussion um die Eltern, an der die Kinder einfach nicht vorbei kommen.

Meine Eltern haben erzählt, dass es nicht immer leicht war,  uns Kinder zu haben. Und wie es vielleicht einfacher gegangen wäre mit Kindergartenplätzen und Anerkennung der Gesellschaft. Und man manchmal einfach auch überlastet ist. Aber sie haben nie einen Zweifel darüber aufkommen lassen, wie sehr sie jeden meiner Geschwister und mich gewollt und geliebt haben. Wie dankbar sie für das Leben mit uns waren und nun dafür, dass wir immer noch ein Teil von ihnen sind und wir füreinander da sind. Dieses Urvertrauen zu zerstören, weil die Reue über die Geburt geäußert wird, ist grausam. Ich vermute, dass es meine Identität infrage stellen würde, müsste ich so etwas erfahren.  Meine Mutter hat immer zu mir gesagt:"Es gibt Dinge, die tut man einfach nicht." Elternschaft zu bereuen und es öffentlich zu diskutieren gehört für mich dazu.